Kuenstliche Intelligenz - Industrie 40
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07.04.2020 Publikation

Durchbruch für Industrie 4.0

Indonesien ist Südostasiens größte Volkswirtschaft und verließ sich als solche lange auf ihr Überan­gebot an günstigen Arbeitskräften. Doch im Standortwettbewerb reicht das nicht mehr aus. Präsident Joko Widodo will sein Land, das dieses Jahr Partnerland der Hannover Messe ist, fit machen für Industrie 4.0.


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Einen Mangel an Ambitionen kann man Anne Patricia Sutanto sicherlich nicht vorwerfen. Die Unternehmerin ist Direktorin des indonesischen Textilproduzenten Pan Brothers, der in dem südostasiatischen Land zu den Marktführern zählt. Doch das ist Sutanto nicht genug. Sie will ihr Unternehmen, das seinen Hauptsitz im Westen der Insel Java hat, in den kommenden Jahren zum größten Textilhersteller Asiens ausbauen. Bis 2035 hält sie es sogar für möglich, zur weltweiten Nummer eins in der Branche aufzusteigen. Aus den zwei Dutzend Fabriken des Unternehmens kommen schon jetzt mehr als 110 Millionen Textilien pro Jahr – das sind jede Sekunde fast 200 Stück. Sie gehen fast ausschließlich in den Export und landen bei Markenunternehmen wie Adidas, Uniqlo oder Lacoste. Bis zum kommenden Jahr will Sutanto die Kapazitäten auf 130 Millionen Stück im Jahr erhöhen. Um das Ziel zu erreichen, investiert sie kräftig in die Digitalisierung und Automatisierung des arbeitsintensiven Gewerbes. „Mein Motto ist es, schnell zu entscheiden, das Ergebnis zu überwachen und den Kurs zu ändern, sollte es nötig sein“, sagte Sutanto kürzlich in einem Interview. Ihre Modernisierungen fielen auch der indonesischen Regierung in Jakarta positiv auf: Sie prämierte Pan Brothers als eines von fünf Musterbeispielen in Sachen Industrie 4.0.

Indonesiens Präsident Joko Widodo, von seinen Landsleuten meist kurz „Jokowi“ genannt, hat sich zum zentralen Ziel seiner zweiten Amtszeit gesetzt, der vierten industriellen Revolution in seiner Heimat zum Durchbruch zu verhelfen. Er stellte im April 2018 seine Strategie unter dem Namen „Making Indonesia 4.0“ vor. Mit dem Masterplan will er die Wirtschaft seines Landes in eine digitale und vernetzte Zukunft führen. Das sieht Jokowi als Voraussetzung, um wie geplant bis 2030 in die Gruppe der zehn größten Volkswirtschaften der Welt aufzusteigen. Diese Vision will Indonesien dieses Jahr auch als offizielles Partnerland der Hannover Messe präsentieren.

Industrie 4.0 in Indonesien bedeutet zunächst noch Ausbau der Automatisierung

Bis der Plan zur Realität wird, gibt es in dem Land aber noch viel zu tun. Zwar verfügt es über zahlreiche Vorzüge – einen gigantischen Markt mit mehr als 260 Millionen Einwohnern, einer rasant aufsteigenden Mittelschicht und ein über Jahre konstantes Wachstum von mehr als fünf Prozent. Doch die Industrie in Asiens drittbevölkerungsreichstem Land hinkt den regionalen Konkurrenten immer noch hinterher. Eine breite Verfügbarkeit von vergleichsweise günstigen Arbeitskräften gaben Unternehmen in der Vergangenheit nur wenig Anreize, in ihren Fabriken in moderne Automatisierungstechnik zu investieren. Der Wettbewerbsvorteil durch die niedrigen Lohnkosten reicht aber immer weniger aus, um Unternehmen von dem Standort zu überzeugen: „Wenn Indonesien für internationale Produktionsunternehmen attraktiv werden will, kann es sich nicht allein mit geringen Personalkosten behaupten“, stellte das Beratungsunternehmen McKinsey in einer Analyse fest. Das Land müsse vielmehr seine industrielle Produktivität dramatisch erhöhen, hieß es.

Dem stimmt auch Jokowis Regierung zu. In ihrem Masterplan beklagte sie, dass Indonesiens Produktivität im Vergleich zu Indien zwischen 2005 und 2016 um 20 Prozent zurückgefallen sei. Im Vergleich zu China seien es gar 46 Prozent. Industrievertreter setzen darauf, dass der Regierung die Kehrtwende gelingt: „Der ‚Making Indonesia 4.0‘-Plan hat eine zentrale Bedeutung, wenn es darum geht, Indonesien zu einer erfolgreicheren und weiter entwickelten Volkswirtschaft zu machen“, sagt Prakash Chandran, Chef von Siemens Indonesien, im Gespräch mit dem VDE dialog. „Die Regierung ist davon überzeugt, dass diese Transformation auch die Exporte kräftig antreiben wird“, sagt er.

Im Rahmen der Industrie-4.0-Strategie will sich Jokowi zunächst auf fünf Wirtschaftszweige konzentrieren. Dazu gehören Nahrungsmittel- und Getränkeproduzenten, Textil­hersteller, die Automobilindustrie, Chemiekonzerne und Elektronikhersteller. Sie sollen gezielt gefördert werden – unter anderem mit dem Bau von Industrie­zonen, Unterstützung bei der Weiterbildung von Mitarbeitern, moderner digitaler Infrastruktur und einer Reform der staatlichen Regulierung. Die Vorhaben stießen auf Wohlwollen: „Der Plan ist eine einmalige Chance für das Land, sein verarbeitendes Gewerbe wiederzubeleben und zu einem neuen Kraftzentrum bei der vierten industriellen Revolution zu werden“, analysierte das Beratungsunternehmen Kearney. Beobachter weisen allerdings darauf hin, dass die Definition von Industrie 4.0 in Indonesien sehr viel breiter gefasst wird als in Europa. Primär geht es in dem Schwellenland nicht darum, aus herkömmlichen Fabriken digitale vernetzte und intelligente Systeme zu erschaffen. Dazu gebe es weder eine ausreichende Telekommunikations­infrastruktur noch genügend Fachkräfte, kommentiert Frank Malerius, der für die deutsche Außenwirtschaftsförderagentur des Bundes GTAI den indonesischen Markt beobachtet. „Realistisch ist stattdessen die Erweiterung von Automatisierung – etwa die Verknüpfung mehrerer Produktionsprozesse innerhalb einer Anlage“, heißt es in seiner Analyse. Dies sei in weiter entwickelten Industrien wie etwa der Nahrungsmittelverarbeitung bereits üblich.

Ein Beispiel dafür ist der Molkereikonzern ­Indolakto, der von der Regierung ebenso wie Pan Brothers als Leuchtturm­unternehmen ausgewählt wurde. Mit ­Indomilk verfügt der Konzern über eine der bekanntesten Konsum­artikelmarken des Landes. In seiner modernsten ­Fabrik im Osten der Insel Java, die 2012 den Betrieb aufnahm, setzt das Unternehmen auf Hightech-Lösungen. Im Einsatz sind dort überwiegend Automatisierungssysteme von Siemens. „Wir helfen unseren Kunden dabei, ihre Produktivität und Flexibilität zu erhöhen“, sagt der lokale Siemens-­Chef Chandran, der mit seinem Unternehmen neben ABB und General Electric zu den wichtigsten Anbietern für Fabrik­automation in Indonesien zählt.

„Wir helfen auch dabei, Mitarbeiter so weiterzubilden, dass sie den Anforderungen von morgen gewachsen sind“, sagt Chandran. Damit spricht er eine der größten Sorgen an, die viele Indonesier mit dem Thema Industrie 4.0 verbinden. Sie fürchten, dass die weitere Automatisierung und Vernetzung der Fabriken zu massiven Arbeitsplatzverlusten führen wird. Die Regierung versucht, diese Befürchtungen zu zerstreuen. Sie prognostiziert, dass bis 2030 durch die Industrie-4.0-Initiative bis zu 30 Millionen neue Jobs entstehen. Sie setzt dabei vor allem auf die Hoffnung, dass höhere Produktivität zu einem massiven Wachstum der Industrie und auch der verstärkten Ansiedlung ausländischer Unternehmen führt. GTAI-Experte Malerius bremst die hohen Erwartungen: „Für diese Dimensionen müsste die verarbeitende Industrie enorm wachsen und hohe Export­überschüsse erwirtschaften“, kommentiert er. Einfach ist das angesichts der Konkurrenz in den Nachbarländern, die ebenfalls auf Industrie 4.0 setzen, seiner Meinung nach nicht. Zuversichtlicher in Bezug auf Indonesiens Potenzial zeigt sich indes Deutsche-Messe-Chef Jochen Köckler: „Es ist beeindruckend zu sehen, welche Möglichkeiten moderne Technologien bieten, die Bedürfnisse einer so stark wachsenden Gesellschaft abzudecken“, sagt er. Wegen der Partnerschaft mit Indonesien für die diesjährige Hannover Messe hat Köckler Staatschef ­Widodo nach Deutschland eingeladen. Für Widodos Pläne Indonesiens Industrie zu revolutionieren, dürfte sich die Reise lohnen: Die eine oder andere Inspiration ist für den Politiker auf der Messe bestimmt dabei.

Mathias Peer ist Südostasien-Korrespondent bei Weltreporter.net