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08.04.2020 Publikation

Technologiekonzerne: Ende der Schonzeit

Die großen amerikanischen Technologiekonzerne geraten jetzt auch auf dem Heimatmarkt ins Visier von Politik und Kartellbehörden. Kritik an Facebook, Amazon oder Google findet selbst im polarisierten Amerika überparteiliche Zustimmung. Eine Zerschlagung der Giganten scheint nicht mehr ausgeschlossen.

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Amerika gegen Microsoft

Das amerikanische Justizministerium und 20 US-Bundesstaaten strengten 1998 eine Kartellklage gegen den Softwarekonzern Microsoft an. Der Vorwurf: Microsoft missbrauche seine monopolartige Stellung beim Betriebssystem Windows, um den Konkurrenten Netscape vom Browser-Markt zu drängen. Microsoft lieferte seinen Browser Internet Explorer bei der Installation von Windows automatisch mit. Ein Richter verfügte im Jahr 2000 die Zerschlagung von Microsoft in ein Unternehmen für Betriebssysteme und eins für Anwendungssoftware. Das Urteil wurde nie vollstreckt. Ein Berufungsgericht hob die Zerschlagung auf, bemängelte aber wettbewerbswidriges Verhalten. Zwei Jahre später folgte ein Vergleich. 

Die amerikanische Senatorin Elizabeth Warren attackierte die Technologiebranche auf eine entschieden untechnische Art. Als demokratische Präsidentschaftskandidatin schaltete sie keine Werbung auf Facebook und bemühte sich auch nicht um Suchmaschinenoptimierung auf Google. Sie setzte vielmehr auf die Wirkung einer großen Plakatwand. „Break up Big Tech“ lautete die simple Botschaft. Warren platzierte ihren Aufruf zur Zerschlagung der großen Technologie- und Internetkonzerne vergangenen Sommer im Herz der Branche – vor dem Bahnhof in San Francisco, von dem aus viele Angestellte ins Technologiezentrum Silicon Valley pendeln, dem Hauptsitz von Facebook, Google und Apple. Die Botschaft kam an. Die Branche ist alarmiert. Demokratische Politiker im Vorwahlkampf sind nämlich nicht die Einzigen, die die führenden Technologieunternehmen im Visier haben. Die Kritik wegen zu großer Marktmacht, mangelhaftem Datenschutz und politischer Manipulation ist in Amerika auf breiter Front angeschwollen. Man spricht bereits vom „Techlash“, ein Wortspiel mit „Backlash“, dem englischen Begriff für Gegenreaktion.

Bei den Republikanern profiliert sich unterdessen der junge Senator Josh Hawley als Branchenkritiker. Hawley hat – zum Teil gemeinsam mit demokratischen Kollegen – Gesetzes­entwürfe zu Themen wie Online-Datenschutz für Minderjährige und Suchtverhalten bei der Nutzung von sozialen Medien eingereicht. Repu­blikaner werfen Facebook und Google auch vor, mit ihren Algorithmen konservative Positionen zu unterdrücken. Und nachdem in den vergangenen Jahren vor allem europäische Kartellbehörden erfolgreich Verfahren gegen amerikanische Tech-Konzerne angestrengt hatten, überprüfen jetzt auch die Wettbewerbshüter im Heimatmarkt deren Geschäftspraktiken.

Trolle, Datenklau und Kartellvorwürfe

Für die Branche ist es ein raues Erwachen nach jahrelanger Schonzeit. Zwar kam es schon Ende der neunziger Jahre einmal zu einem Kartellverfahren gegen den Softwarekonzern Microsoft (siehe Kasten). Aber bis vor ein paar Jahren galten die stark gewachsenen Technologiefirmen um Amazon und Google vor allem als Symbole amerikanischen Gründergeistes. Die Innovationen, die der Siegeszug von Internet und Smartphone mit sich brachte – googeln, posten, online-shoppen –, und das hohe Tempo der Entwicklung schienen die Aufsichtsbehörden überfordert zu haben. Zudem kultivierte Barack Obama, der erste Präsident, der die neuen technologischen Möglichkeiten erfolgreich nutzte, die Nähe zum Silicon Valley. Dessen junge Gründer gaben sich als Weltverbesserer mit guten Intentionen, was besonders im Vergleich zur Finanzkrise und ihren Nachwehen positiv auffiel. Erst nachdem Hillary Clinton die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 gegen Donald Trump verloren hatte und klar wurde, dass Russland soziale Medien für eine Desinformationskampagne genutzt hatte, geriet Facebook unter Beschuss. Gründer Mark Zuckerberg wurde vor den Kongress zitiert und im vergangenen Juli zahlte Facebook eine Milliardenstrafe, weil eine Analysefirma im Wahlkampf unerlaubten Zugriff auf Millionen von Nutzerdaten hatte. Das Justizministerium und die Federal Trade Commission wollen jetzt klären, ob die Internetgiganten auf ihrem Vormarsch den freien Wettbewerb behindert haben. Justizminister William Barr drängt auf eine breitangelegte Prüfung von Face­book, Google, Amazon und Apple. Zuckerberg hatte nach der Attacke von Warren mit einem Rechtsstreit gedroht, sollte sie Facebook als Präsidentin zerschlagen wollen. Warren musste ihre Ambitionen mittlerweile begraben, aber der aussichtsreichere Kandidat Bernie Sanders fordert ebenfalls die Aufspaltung von Tech-Firmen. Der moderatere Joe Biden, einst Vizepräsident unter Obama, hält eine endgültige Entscheidung darüber trotz aller Kritik für „verfrüht“.

Technologiefirmen galten auch lange als immun gegen Vorwürfe von Marktmanipulation, weil Unternehmen, die dem Wohl der Verbraucher dienen, bislang selten ins Visier von Kartellbehörden gerieten. Der Vorstandschef des Lautsprecher-Herstellers Sonos, Patrick Spence, warf nun jedoch Google und Amazon vor, ihre eigenen Smart-Speaker Home und Echo zu „Kampfpreisen“ anzubieten und so kleinere Konkurrenten aus dem Markt zu drängen. Ein weiterer Kritikpunkt: Die führenden Tech-Firmen betreiben nicht nur Plattformen, sondern bieten darauf auch eigene Produkte an.

Manipulierte Suchergebnisse?

So konkurriert der Online-Einzelhändler Amazon mit seinen günstigen „Basics“ gegen Markenprodukte, womöglich unter Nutzung über die Konkurrenz gesammelter Daten. Im Fall von Google vermuten Skeptiker, dass eigene Angebote wie der Routenplaner „Google Maps“ bei den Suchergebnissen bevorzugt werden. Eine Zerschlagung der großen Silicon-Valley-Firmen sei „absolut auf dem Tisch“, sagt Makan Delrahim, Leiter der Kartellabteilung im Justizministerium. Aber Frontlinien in Washington sind fließend. Delrahim zog sich kürzlich aus einem Teil der Ermittlungen zurück. Der Grund: Er war früher einmal als Lobbyist tätig gewesen – für Google.

Norbert Kuls ist freier Wirtschaftskorrespondent in New York und schreibt für die Börsen-Zeitung.