„Die additive Fertigung ist auf dem Weg, sich als Produktionstechnologie zu etablieren“, sagt Thomas Weißgärber, der den Institutsteil Dresden des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) kommissarisch leitet. Der 3D-Druck, zu dem eine Vielzahl verschiedener Verfahren zählt, beschränkt sich längst nicht mehr nur auf das schnelle Produzieren von Prototypen – also das Rapid Prototyping. Zunehmend werden auch Bauteile gedruckt, die unter realen Bedingungen im Einsatz sind. Per Schmelzverfahren beispielsweise würden bereits viele Bauteile für Medizintechnik, Luftfahrt oder den Werkzeugbau hergestellt.
„Während 2016 nur fünf Prozent der Unternehmen weltweit ihre Endprodukte mithilfe additiver Fertigung herstellten, sind es mittlerweile bereits 18 Prozent“, heißt es in einer Studie der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY, für die insgesamt 900 Firmen befragt wurden. „Bis 2022 wollen sogar 46 Prozent additive Fertigung in der Endproduktion einsetzen“, sagt Stefana Karevska, globale Leiterin für das Thema 3D-Druck bei EY.
Ein Unternehmen, das dies bereits in großem Stil tut, ist igus, ein Hersteller von Kunststoffgleitlagern, Energieführungsketten sowie flexiblen Spezialleitungen „Wir fertigen mit diesem Verfahren Bauteile, die in Maschinen eingesetzt werden – also zum Beispiel Gleitlager, Zahnräder oder Antriebsmuttern“, berichtet Tom Krause, Leiter des Geschäftsbereichs Additive Fertigung bei igus. Daneben bietet das Unternehmen auch einen Druckservice an, um vor allem Verschleißteile für seine Kunden additiv zu produzieren.
Insbesondere dort, bei der Produktion von Ersatzteilen, bei kleinen bis mittleren Stückzahlen und einer großen Varianz an Teilen, kann der 3D-Druck seine Stärken ausspielen. „Wenn bei einem Kunden eine Maschine stillsteht und er schnell ein Verschleißteil benötigt, dann können wir dieses über Nacht drucken und er kann wieder weiterarbeiten“, so Krause. „Dafür ist die additive Fertigung prädestiniert, weil man flexibel ist und nicht erst die Werkzeuge zur Herstellung des benötigten Bauteils beschaffen muss“, erklärt der 3D-Druck-Fachmann.
Konstrukteure müssen schon in der Entwicklung in 3D-Druck denken
Dank additiver Fertigung lassen sich auch Dinge herstellen, die mit herkömmlichen Verfahren nicht möglich sind. Als Beispiel nennt Krause einen sogenannten Gasring, mit dem Menschen mit Behinderung am Lenkrad eines Autos per Hand Gas geben können. Probleme bereiten Steuerräder, die nicht komplett rund, sondern unten abgeflacht sind. Dafür muss ein spezieller Ring produziert werden, der auch diese Form beherrscht. „Die Firma Kempf hat dafür einen Ring entwickelt, der sich aus vielen Gleitern zusammensetzt und dadurch um die Ecke gleiten kann“, berichtet Krause. Dieses Teil wird additiv gefertigt. „Im Spritzguss wäre der Ring nur mehrteilig herstellbar gewesen – und das auch noch zu höheren Kosten.“ Umgekehrt ist es allerdings wenig sinnvoll, Teile, die für klassische Fertigungsverfahren designt wurden, additiv zu fertigen. „Wir erhalten ständig Anfragen für Bauteile, die ganz klar für die konventionelle Fertigung konstruiert wurden“, berichtete Stefan de Groot, Technologieleiter und Projektmanager beim 3D-Druck-Dienstleister Protiq auf der vergangenen Hannover Messe, „solche Teile eins zu eins additiv zu fertigen, ist aber oft teuer und bringt nichts.“ Deshalb, so Weißgärber vom Fraunhofer IFAM, müssen „Konstrukteure noch stärker in 3D-Druck denken.“ Nur so ließe sich das volle Potenzial der additiven Fertigung erschließen.
Abgesehen von der noch fehlenden Denke gibt es noch ein paar weitere Hürden auf dem Weg zur vollwertigen Produktionstechnologie. Dazu zähle die Prozessstabilität über verschiedene Hardware-Systeme hinweg, sagt Michael Wawrzinek, Additive Manufacturing Specialist beim 3D-Druck-Spezialisten Altair. „Beim Wechsel von einer auf eine andere Anlage gibt es heute noch viele Herausforderungen.“ Will heißen: Von Maschine zu Maschine gibt es schwankende Ergebnisse. Hinzu kommt: Entlang des gesamten Prozesses der additiven Fertigung gibt es vergleichsweise viele Parameter, die für Fehler oder Schwankungen anfällig sind – das kann zum Beispiel der Feuchtegehalt des Pulvers sein oder die Leistung des Lasers.
Mangelnde Fachkenntnis der Produktionsprozesse ist laut EY-Studie auch ein Grund, nur zögerlich in Technologien für die additive Fertigung zu investieren. Bremsend wirken zudem die hohen Kosten für Material und die Anschaffung der Systeme. Das mögen auch die Gründe sein, weshalb deutsche Unternehmen zwar viel testen, aber noch nicht so stark in die additive Fertigung von Endprodukten eingestiegen sind, anders als in Asien, wo der 3D-Druck stark im Kommen ist. Gerade im internationalen Vergleich gibt es für deutsche Unternehmen also noch Luft nach oben.
Markus Strehlitz ist freier Journalist und Redakteur beim VDE dialog