Mikro-Kutter
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02.09.2025 VDE dialog

„Mikroelektronik ist zur Waffe geworden“

Bereits das erste Positionspapier „Hidden Electronics“ vor mehr als zehn Jahren sollte aufrütteln. Im gerade veröffentlichten vierten Papier läuten die Alarmglocken nun deutlich lauter. Warum das so ist, erläutert Prof. Christoph Kutter.

Interview: Martin Schmitz-Kuhl


VDE dialog: Das neue Positionspapier ist bereits das vierte in einer Reihe. Wie unterscheidet sich „Hidden Electronics IV“ von seinen Vorgängern?

Prof. Christoph Kutter: Neu ist vor allem das veränderte geopolitische Umfeld. Die Mikroelektronik ist inzwischen nicht mehr nur Schlüsseltechnologie, sondern auch ein strategisches Machtinstrument geworden. Wir sehen, dass Lieferketten gezielt unterbrochen und Exportverbote verhängt werden. Mikroelektronik wird also regelrecht als Waffe eingesetzt. Gleichzeitig wächst die Gefahr, dass Europa in diesen Konflikten keine Rolle mehr spielt, schlicht vergessen wird. Das aktuelle Papier will daher ein Weckruf sein: Europa muss technologisch souverän werden!


Technologische Souveränität klingt ambitioniert. Was genau meinen Sie damit, und wie realistisch ist dieses Ziel?

Souveränität heißt nicht, dass wir alles selbst machen müssen. Wir wollen keine Autarkie, die in der Tat unrealistisch wäre. Aber wir müssen so relevant und leistungsfähig sein, dass andere uns brauchen und auf uns angewiesen sind. Es geht also nicht darum, alle Chips selbst zu fertigen. Das tun selbst die USA nicht, wie man bei NVIDIA sehen kann, die größte Chipfirma der Welt. Das ist ein reines Designhaus ohne eigene Fertigung. Aber Europa muss eben in der Lage sein, eigene Schlüsseltechnologien zu entwickeln, zu designen und in Fertigungspartnerschaften zu bringen. Wer hier nicht präsent ist, verliert nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch an Bedeutung.

Porträtfoto von Dr. Christoph Kutter

Prof. Dr. Christoph Kutter, Hauptautor des Positionspapiers „Hidden Electronics IV“, ist Direktor des Fraunhofer EMFT und stellvertretender VDE Präsident.

| Fraunhofer EMFT / Prof. Kutter

Wo liegen Ihrer Einschätzung nach die größten Defizite Europas – und wo die Stärken?

Die größten Schwächen Europas sind eindeutig in der Logik- und Speicherfertigung. Weitere Defizite betreffen das Chipdesign: Wir haben kaum sogenannte Fabless, also Designhäuser, die ihre Chips dann bei externen Fertigungsbetrieben – den „Foundries“ – herstellen lassen. Und auch in der „Advanced Packaging“-Technologie – also in der weiterverarbeitenden Stufe nach der Chipherstellung – ist Europa schwach aufgestellt. Die Stärken Europas liegen hingegen bei Leistungshalbleitern, der Sensorik, im Bereich von bestimmten Analogbausteinen und auch im Bereich der Optoelektronik.


Im Papier wird auch die 3-Nanometer-Technologie diskutiert. Manche halten die für überflüssig. Was entgegnen Sie?

Die Geschichte der Halbleitertechnologie zeigt: Was heute als überflüssig gilt, ist morgen bereits Standard. Noch vor wenigen Jahren hätte kaum jemand geglaubt, dass 3-Nanometer-Knoten für viele Anwendungen notwendig werden. Diese Technologie wird für Hochvolumenprodukte eingesetzt und wird perspektivisch auch für kleinere Stückzahlen erschwinglich sein. Zudem erzeugt die Ansiedlung solcher Spitzentechnologien Spillover-Effekte, von denen viele andere Bereiche profitieren. Deshalb ist es richtig und wichtig, diese Technologie nach Europa zu holen.


Ein zentrales Anliegen des neuen Positionspapiers ist ein europäischer Masterplan für Mikroelektronik. Was sollte dieser leisten – und was unterscheidet ihn vom bisherigen European Chips Act?

Wir brauchen einen europäischen Masterplan – verbindlich, ambitioniert und langfristig angelegt. Der Chips Act ist zwar ein wichtiger Schritt, ebenso die bisherigen Programme in Deutschland. Aber sie sind oft zu kurzfristig angelegt. Ein Masterplan müsste mindestens auf zehn Jahre hin konzipiert sein, mit klaren Zielen, einer stabilen Finanzierung und einer durchgängigen politischen Priorität. Mikroelektronik braucht Kontinuität. Kurzfristige Förderwellen reichen nicht, um eine strategisch relevante Industrie aufzubauen.


Und sind Sie mit den bisherigen finanziellen Mitteln in Europa zufrieden?

Wenn wir uns anschauen, was etwa China oder die USA investieren, dann reicht das europäische Engagement nicht aus. Andere Länder geben teilweise dreistellige Milliardenbeträge aus, auch wenn vieles nicht als direkte Subventionen, sondern als steuerliche Anreize erfolgt. Europa hat zwar schon vor vielen Jahren unter der EU-Kommissarin Neelie Kroes das Ziel ausgerufen, einen Weltmarktanteil von 20 Prozent zu erlangen. Aber ohne entsprechende Maßnahmen verpufft so ein Vorhaben ganz schnell wieder. Erst mit konkreten Programmen wie IPCEI kamen Fortschritte, etwa die Bosch-Fabrik in Dresden. Doch insgesamt fehlt die kritische Masse. Wir brauchen mehr und vor allem nachhaltigeres Engagement.


In dem Papier fordern die Autoren, militärische Anforderungen stärker in die Mikroelektronikstrategie zu integrieren. Auch das ist neu.

Richtig. Europa hat sich zu lange auf zivile Anwendungen konzentriert. Früher gab es eine klare Trennung von ziviler und militärischer Forschung. Doch heute sehen wir, dass Verteidigungsfähigkeit essenziell geworden ist. Und dazu gehört eben auch die Fähigkeit, eigene Chips für sicherheitsrelevante Anwendungen zu produzieren. Denn ansonsten müssen wir alle Waffen im Ausland einkaufen, mit allen Unwägbarkeiten, die damit verbunden sind. Es ist daher nur folgerichtig, militärische Anforderungen in Förderstrategien mitzudenken – zumal auch der zivile Bereich davon profitieren kann. Moderne Mikroelektronik ist dual-use. Wer sie beherrscht, kann beides: Innovation und Verteidigung.


Zeigt sich hier auch noch einmal der Beweggrund, der Sie und die anderen Autoren veranlasst hat, jetzt noch einmal ein neues „Hidden Electronics“-Papier herauszubringen?

Ja, das spielt auf jeden Fall mit rein. Die geopolitische Lage hat sich nun einmal stark verändert. Und das ist eben nicht nur der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, sondern auch die Politik der Trump-Administration und die zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China. Mikroelektronik ist dabei zum geopolitischen Machtfaktor geworden. Europa darf in diesem Szenario nicht nur Zuschauer sein. Das Papier warnt daher deutlich: Wer technologisch abgehängt wird, verliert seine Souveränität!


Was würden Sie sich also von der Politik wünschen?

Erst einmal: Die bestehenden Programme müssen erfolgreich umgesetzt werden – etwa die TSMC-Fabrik und mögliche Folgeprojekte. Auch die Förderungen im Bereich Chipdesign sollten konsequent weitergeführt werden. Langfristig geht es dann um den erwähnten Masterplan, mit klarer Strategie und stabiler Förderung.

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