Wann und warum wurde die Fachgesellschaft gegründet?
Die ITG wurde vor 70 Jahren gegründet – damals noch unter dem Namen „Nachrichtentechnische Gesellschaft“. Sie ist die älteste Fachgesellschaft im VDE. In dieser Zeit, also im Nachkriegsdeutschland, hat die Bedeutung der Nachrichtentechnik immens zugenommen. Man denke allein an die Bereiche Funk und Fernsehen sowie auch an die Entwicklung der öffentlichen und privaten Kommunikationsnetze. Die Gründung einer eigenen Fachgesellschaft unter dem Dach des VDE trug dieser Entwicklung damals Rechnung. Das war natürlich alles lange vor meiner Zeit. Allerdings kann ich sagen, dass die ITG auch für mich bereits als jungen Wissenschaftler vor mehr als 30 Jahren eine wichtige Rolle spielte – als Networking-Plattform und Wissens-Community, wie man heute sagen würde.
Auf welche bisherigen Leistungen und Errungenschaften kann die ITG besonders stolz sein?
Die bisherigen Leistungen der ITG sind gut dokumentiert: Das sind nämlich vor allem die Studien und Handlungsempfehlungen, die wir Jahr für Jahr herausbringen. Ich könnte jetzt etwa das aktuelle Positionspapier zum Thema „Joint Communications & Sensing“ nennen – einer Schlüsseltechnologie, die man zum Beispiel für das autonome Fahren oder im Bereich der Robotik braucht. Aber eigentlich besteht für mich die übergeordnete Leistung ganz grundsätzlich in der institutionsübergreifenden Zusammenarbeit, der Art der Zusammenarbeit in den Gremien und in dem enormen Expertenwissen, das so zusammengeführt wird. Wir schlagen in einer einzigartigen Weise Brücken. Denn wir bringen tatsächlich Experten aus Lehre, Forschung und Wissenschaft zusammen mit Experten aus der Industrie sowie vonseiten der Netzbetreiber und Dienstleister. Damit gelingt es uns, eine unabhängige und neutrale, aber eben auch kohärente, alle Seiten berücksichtigende Expertise zu leisten. Und darauf können wir immer wieder stolz sein!
Wie wirkmächtig ist die ITG aber tatsächlich? Findet sie wirklich Gehör?
Eine Fachgesellschaft ist so gut und so stark wie ihre Mitglieder. Und wenn ich so schaue, wer sich bei uns engagiert, bin ich schon zuversichtlich, dass es uns auch weiterhin gelingt, hier einen wichtigen Beitrag zu leisten. Dafür müssen wir auch deutlich machen, was wir als wissenschaftliche Fachgesellschaft unter dem Dach des VDE zu leisten in der Lage sind: Wer eine neutrale, unabhängige und damit auch glaubwürdige Expertise haben möchte, die alle relevanten Stakeholder berücksichtigt, sollte uns schon Gehör schenken!
Was ist heute das Kernthema der ITG?
Im Fokus unserer Arbeit steht sicherlich die digitale Transformation – und zunehmend in allen nur erdenklichen Facetten des Zusammenwachsens von physikalischer und digitaler Welt. Es geht um cloudbasierte Netze der Zukunft, neuartige Radiotechnologien und Nutzung von neuen Frequenzen, Themen wie Automatisierung und vor allem die Künstliche Intelligenz – um nur ein paar Schlagworte zu nennen. Und es geht vor allem um die Evolution von Kommunikationsnetzen für das Zeitalter der erweiterten menschlichen Möglichkeiten, beispielsweise für den Bereich der Gesundheitsversorgung. Für all das brauchen wir leistungsfähige, vertrauenswürdige, nachhaltige Systeme, die eine digitale Teilhabe für alle ermöglichen. Somit beschäftigen wir uns letztlich eben auch nicht nur mit Technologien und Innovation, sondern mit übergeordneten gesellschaftlichen Zielen. Wir leisten einen Beitrag für die Gestaltung einer lebenswerten Zukunft!
Das gelingt aber nur, wenn man die Leute dafür hat.
Richtig. Neben all diesen Themen hat sich ein weiteres Thema in den Vordergrund geschoben: der Fachkräftemangel und der dramatische Rückgang der Studierendenzahlen. Denn das muss allen klar sein: Wir werden die Zukunft nicht so gestalten können, wie wir uns das alle wünschen, wenn uns die dafür nötige Wo/manpower fehlt. Und insbesondere die nötige Womanpower, denn leider ist die Elektrotechnik noch weitgehend eine Männerdomäne.
Wie kann es gelingen, mehr Menschen für diesen Studiengang zu begeistern?
Die Förderung des Ingenieurnachwuchses ist eine Herausforderung, die wir sehr ernst nehmen müssen und der wir uns gemeinschaftlich stellen müssen. Dafür müssen wir als Erstes dieses verkrustete Bild zurechtrücken, das viele Menschen noch von der Elektrotechnik haben und das nichts mit dem zu tun hat, was heute unseren Beruf ausmacht. Und wir müssen klarmachen, mit welchen Themen wir uns überhaupt beschäftigen, denn das sind alles Themen, die die Generation Z umtreibt. Ich spreche von Themen wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Ich spreche von Themen wie Sicherheit und Vertrauen oder Schutz der Privatsphäre im Zeitalter der Digitalen Zwillinge. Ich spreche aber auch von Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand, also der Verteidigung unseres Lebensstandards. Bei all dem sollten wir aber auch den jungen Menschen zu verstehen geben, welche Gestaltungsmöglichkeiten die Elektro- und Informationstechnik bietet und warum es so viel Freude macht, sich da einzubringen. Damit meine ich übrigens insbesondere auch das Engagement in unserer Fachgesellschaft.
Inwiefern profitiert die ITG davon, eine Fachgesellschaft im VDE zu sein – und umgekehrt?
Die Aufstellung als Fachgesellschaft unter dem Dach des VDE ist ein positives Alleinstellungsmerkmal und bietet ganz besondere Chancen. Denn der VDE ist vermutlich weltweit die einzige Organisation, die Wissenschaft, Standardisierung, Prüfung, Zertifizierung und Anwendungsberatung auf diese Art und Weise bündelt. Aus dieser Doppelstruktur von unternehmerischer und ehrenamtlicher, wissenschaftlicher Tätigkeit zieht der VDE eine ganz besondere Stärke. Ich nenne das mal: Innovationssynergie. Wir haben eine „Shared Vision“ und einen „Shared Purpose“. Und darin sehe ich jede Menge Potenzial!
Welchen Beitrag kann die ITG zu einer e-dialen Zukunft leisten?
Derzeit ist viel von Softwareisierung die Rede, von „Softwarization of everything“. Aber gerade da, wo Hardware und Software, aber eben auch Informatik und Elektrotechnik aufeinandertreffen, wird es interessant und anspruchsvoll. Da, wo es die Zusammenarbeit von Mikroelektronik, Netztechnik und Informatik braucht, werden die wirklich spannenden Produkte und Anwendungen entwickelt. In vielen kritischen Abwendungsfällen der Künstlichen Intelligenz oder etwa des physikalischen Layer von 5G- und 6G-Radionetzen geht es um Co-Design von Hardware und Software. Deshalb können wir dort auch einen ganz besonderen Beitrag zu einer e-dialen Zukunft leisten. Eine Zukunft, in der Technik eine wichtige Rolle spielt. Vor allem aber eine Zukunft, die lebenswert ist!
Die Fragen stellte Martin Schmitz-Kuhl
Dr. Volker Ziegler ist Senior Advisor bei Nokia Strategy and Technology. Bereits vor seiner Wahl zum ITG-Vorsitzenden Ende 2023 war er stellvertretender Vorsitzender.