VDE dialog: Die Kernfusion wird seit über 70 Jahren immer wieder als Königsweg zu einer bezahlbaren sauberen Energieversorgung ins Spiel gebracht. Ist irgendwann einmal mit dem Durchbruch zu rechnen?
Prof. Dr. Markus Roth: Die Forschung hat in den letzten Jahren extrem Fahrt aufgenommen: Inzwischen kann bei Experimenten regelmäßig eine Verdoppelung der eingesetzten Energie erzielt werden. Nun geht es um die Effizienzsteigerung. Beispielsweise wollen die Kollegen der National Ignition Facility (NIF) des kalifornischen Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL), die 2022 erstmals mit der Zündung einen Energiegewinn erreicht haben, die Leistungsfähigkeit ihrer Anlage massiv erhöhen. Dazu gehört unter anderem, dass die Dummy-Scheiben der einzelnen Laser durch aktive Lasergläser ersetzt werden. Allein damit soll der Gain – der Faktor der Energiegewinnung – auf 14 gesteigert werden.
Wie beurteilen Sie das Fusionsflaggschiff ITER in Südfrankreich? Kritiker sprechen bei diesem Projekt ja von einer never ending story.
Das ist verständlich. Denn die Arbeiten wurden bereits 2010 aufgenommen und der Betrieb soll nun erst frühestens 2034 beginnen. Dabei belaufen sich die Kosten inzwischen auf mehr als 20 Milliarden Euro. Allerdings sollte man bei der Beurteilung berücksichtigen, unter welchen Bedingungen das Projekt ins Leben gerufen wurde: ITER war eine gemeinsame Idee von Michael Gorbatschow und Ronald Reagan. Die beiden hatten sich dazu entschlossen, den Kalten Krieg zu beenden und eine internationale Zusammenarbeit anzustoßen. Und da die Krebsheilung und der Weltfrieden etwas zu schwierig erschienen, hat man sich auf die Kernfusion geeinigt. In der Folge wurden noch alle möglichen Länder mit ins Boot geholt – von der EU über China, Japan und Südkorea bis zu Indien. Allein bis die ganzen Verträge mit den einzelnen Ländern ausgehandelt waren, dauerte das schon seine Zeit. Und dann hat man noch etwa zehn Jahre gebraucht, um sich auf den Standort des Forschungsreaktors in Südfrankreich zu einigen. Das größte Problem stellt aber die Tatsache dar, dass jedes beteiligte Land Einzelkomponenten zu dem Projekt beisteuert. Dass da nicht immer alles zusammenpasst, kann man sich vorstellen. Und auch die Qualitätslevels sind teilweise sehr unterschiedlich. Inzwischen ist die Technologie und die verbaute Technik natürlich auch nicht mehr so ganz State of the Art.
Im Unterschied zur Magnettechnologie, die im ITER, JET und Wendelstein 7-X eingesetzt wird, verfolgen Sie mit Focused Energy wie im NIF einen laserbasierten Ansatz.
Genau. An der Magnetfusion wird schon deutlich länger geforscht. Deshalb hat diese Technologie in manchen Bereichen einen gewissen Vorsprung. Aber wenn man sich anschaut, welche Fortschritte die Lasertechnologie in den letzten Jahren gemacht hat, dann ist das sehr beeindruckend. Deshalb scheint mir aktuell das Momentum eher bei uns zu liegen. Ich denke dabei auch an industrielle Anwendungen, die aus den Lasersystemen hervorgegangen sind – etwa bei der Chipproduktion. Und sobald etwas in der Industrie eingesetzt wird, entstehen extreme Entwicklungssprünge, wovon dann wieder die Forschung profitiert.
An welchen Herausforderungen arbeiten Sie mit der Lasertechnologie gerade?
Wie unter anderem das NIF gezeigt hat, ist die Fusion an sich physikalisch geklärt und stabil. Damit aber aus einem Grundlagenexperiment irgendwann etwas wird, mit dem man Geld verdienen kann, muss die Effizienz deutlich gesteigert werden. Wobei es beim Hochskalieren nicht mehr um prinzipielle wissenschaftliche Fragestellungen, sondern in erster Linie um ingenieurtechnische Themen geht. Ich denke da beispielsweise an die alten Lasersysteme: Die hatten lediglich einen Wirkungsgrad von einem halben Prozent. Die neuen liegen aber schon bei zehn Prozent. Das ist immerhin die zwanzigfache Leistung.
Wie so oft ist Deutschland in der Forschung weit vorne. Und inzwischen unterstützt neben privaten Investoren auch die Politik mit Fördergeldern. In der Vergangenheit war es aber oft so, dass hier innovative Technologien entwickelt und die wirtschaftlichen Erfolge in Asien und den USA realisiert wurden. Kann das bei der Kernfusion anders laufen?
Deutschland macht nach wie vor exzellentes Engineering. Und genau deshalb bin ich der Meinung, dass sich für uns aus der Kernfusion besonders gute Chancen ergeben. Letztendlich wird die Organisation erfolgreich sein, die in der Lage ist, Strom zu erschwinglichen Preisen zu produzieren. Deshalb müssen wir unser Industriesystem umbauen und an den Bedarf der Kernfusion anpassen. Bislang waren wir die Autoweltmeister, etwas Ähnliches könnte ich mir für die optische Industrie vorstellen. Da haben wir jetzt schon die Nase vorn. Aber die notwendigen Kapazitäten sind bei Weitem noch nicht ausreichend. Unternehmen wie Heraeus und Schott müssten ihre Produktion ausweiten und neue Fabriken bauen, um in großem Maßstab die Optiken für die zukünftigen Kraftwerke zu produzieren. Zur Größenordnung: In der NIF wurde mehr Hochleistungsoptik verbaut als in sämtlichen Teleskopen der Welt. Neben diesen Gläsern benötigen wir auch spezielle Leistungselektronik und Laserdioden. Die entsprechenden Lieferketten aufzubauen, ist sowohl eine große Herausforderung wie eine Riesenchance für ein Industrieland wie Deutschland.
Wie sieht die Roadmap bei Focused Energy aus?
Als deutsch-amerikanisches Unternehmen stellen wir in Darmstadt aktuell ein Labor mit über 2000 Quadratmetern für die Hochpräzisionstarget- und Laserentwicklung fertig. In Kalifornien werden wir eine Anlage bauen, in der wir ab 2026 Lasersysteme der neuen Generation testen. Wo unser größtes und wichtigstes Projekt auf dem Weg zu einem Fusionskraftwerk gebaut wird – die Integrated Test Facility mit rund 100 installierten Lasersystemen, steht noch nicht fest. Dort wollen wir dann das Zusammenspiel sämtlicher Verfahren demonstrieren und auf ein Technology Readiness Level bringen. Das bedeutet, die Technologien auf so einen Reifegrad zu steigern, dass man anschließend guten Gewissens das erste Demonstrationskraftwerk mit etwa 2000 Lasersystemen bauen kann. Darüber hinaus bauen wir am ehemaligen Standort des Atomkraftwerks Biblis eine Demonstrationsanlage für ein bei der Laserfusion entwickeltes Prüfverfahren, das mit harten Röntgen- und Neutronenstrahlen arbeitet.
Können Sie etwas näher erläutern, was es mit dem Prüfverfahren in Biblis auf sich hat?
Das Verfahren hat mit Energiegewinnung nichts zu tun, ging aber aus unserer Laserforschung für die Kernfusion hervor. Dabei handelt es sich um ein klassisches Spin-off, wofür wir ein Konsortium gegründet haben, das von der Bundesregierung gefördert wird und zu dem unter anderem RWE, die TU Darmstadt, das Helmholtz Zentrum Dresden-Rossendorf, das Fraunhofer-Institut ILT in Aachen und Trumpf Lasertechnik gehören. Mit dem Prüfverfahren können wir zerstörungsfrei komplexe Systeme durchleuchten. Beispielsweise auch nukleare Abfallgebinde, wie sie massenweise bei den Landessammelstellen und Kraftwerken lagern. Hinzu kommen Unmengen von Fässern, die aus der Asse zurückgeholt werden müssen. Man weiß hier weder, in welchem Zustand die nach zehn bis zwanzig Jahren Lagerung sind, noch, was sich genau darin befindet. Bevor man diese Fässer jetzt endgültig irgendwo einlagert, müssen diese zertifiziert werden. Wir untersuchen die Struktur der Gebinde und prüfen auf Risse. Neben dieser Anwendung können wir mit dem Prüfverfahren aber auch noch andere Dinge untersuchen: Beispielsweise den Zustand des Stahlbetons in Brücken. Einstürze, wie es sie in Dresden mit der Carolabrücke gab, lassen sich so verhindern. Solche Spin-offs sind extrem spannend – zeigen sie doch, dass sich aus der Kernfusionsforschung noch ganz andere Anwendungen ableiten lassen. Außerdem können sich die Lasersysteme unter Industriebedingungen bewähren, unsere Partner treiben den Aufbau von Lieferketten voran und die Investitionen in die Forschung beginnen sich zu amortisieren.
Halten Sie es für realistisch, dass es bis Ende der 2030er-Jahre einen Reaktor geben wird, der wirtschaftlich arbeitet?
Aus meiner Sicht nicht. Realistisch ist aber, dass wir bis Ende der 2030er-Jahre einen ersten Fusionsdemonstrationsreaktor haben werden, der in der Lage ist, Strom zu produzieren – einen sogenannten Fusion Pilot. Ein erstes kommerzielles Fusionskraftwerk, das sich dem Markt mit den entsprechenden Preisen stellen muss, nennen wir „first of the kind“. Wann wir mit so einer Anlage rechnen können, lässt sich nicht genau sagen, aber ich rechne damit in den 2040er-Jahren.
Könnte China uns auch auf diesem Gebiet den Rang ablaufen?
Die Chinesen haben den großen Vorteil, dass ihre Mittel quasi unerschöpflich sind, weil sie staatlich finanziert werden. Dabei arbeiten sie sowohl mit der Magnet- als auch mit der Lasertechnologie. Im Vergleich zu anderen Ländern hält sich China relativ bedeckt, was Forschungsergebnisse anbelangt. Aber in letzter Zeit kamen von dort einige hochqualitative Veröffentlichungen, die durchaus Weltniveau haben. Das Land holt im intensiven globalen Wettrennen in großen Schritten auf.
Was entgegnen Sie Kritikern, die behaupten, das Geld für die Fusionsforschung sei besser in Sonnen- und Windenergieanlagen angelegt?
Richtig ist: Die Fusionsforschung darf nicht zum Feigenblatt werden, damit nicht in die Erneuerbaren investiert wird. Die Erneuerbaren sind jetzt verfügbar und müssen eingesetzt werden, um die Dekarbonisierung voranzutreiben! Allerdings werden sie allein dafür langfristig nicht ausreichen. Ein Beispiel: Wir sind ein Exportland und 90 Prozent des Welthandels wird durch Schiffe abgewickelt. Auf den Weltmeeren sind über 50.000 Handelsschiffe unterwegs. Jedes einzelne verbrennt am Tag zwischen 100 und 200 Tonnen Schweröl. Wenn wir die alle dekarbonisieren wollen, ohne sie mit Kernreaktoren auszustatten, bleiben nur synthetische Treibstoffe. Bei deren Herstellung fällt aber Primärenergie mit einem Faktor 5 an. Wenn diese Menge mit Solarzellen und Windrädern hergestellt werden soll, frage ich mich, wo dann noch jemand wohnen soll. Die Antwort auf die Eingangsfrage ist also ein ganz dezidiertes Sowohl-als-auch. Wir müssen die Erneuerbaren mit voller Kraft ausbauen. Aber ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts müssen wir uns eine hochdichte Energiequelle zunutze machen, die sicher ist und kein CO2 produziert.
Dr. Markus Roth ist Professor für Laser- und Plasmaphysik an der TU Darmstadt. Dort betreibt er experimentelle Grundlagenforschung und lehrt zur Wechselwirkung intensiver Laserstrahlen mit Materie. Außerdem ist der Physiker Mitgründer und wissenschaftlicher Leiter des deutsch-amerikanischen Start-ups „Focused Energy“.