Sie fordern in Ihrem Papier ein neues Innovationsökosystem. Was verstehen Sie darunter?
Bovenschulte: Derzeit haben wir zwei relativ voneinander getrennte Innovationssysteme, eines für die Verteidigung, das andere für zivile Entwicklungen. Letzteres ist selbstverständlich viel größer. Und es liegt nahe, dieses aus Effizienzgründen auch für friedenssichernde Technologien zu verwenden. Dabei geht es mitnichten nur um Universitäten und Forschungsinstitute, sondern es geht auch um Unternehmen. Warum sollten Technologiekonzerne nicht Defence-Töchter aufsetzen können, die als neue Akteure in diesem Feld die bestehenden Rüstungsfirmen – Rheinmetall, Diehl, Airbus etc. – komplementär ergänzen?
Preuß-Eisele: Daneben müssten in diesem Innovationsökosystem Start-ups eine viel größere Rolle spielen. Gerade von ihnen sind disruptive, clevere Ideen zu erwarten, weil dort auch mal „out of the box“ gedacht wird. Der Anfang des Jahres im Rahmen des NATO-DIANA-Programms gestartete Palladion Defence Accelerator geht da genau in die richtige Richtung. Es handelt sich dabei um ein Innovationsprogramm zur Förderung von Dual-Use-Technologien – also zivil und militärisch nutzbar – an der Universität der Bundeswehr München. Letztlich muss es uns viel mehr gelingen, innovative Start-ups mit den großen Playern zusammenzubringen.
Bovenschulte: Beide Seiten wissen natürlich voneinander und sehen auch die Notwendigkeit, zusammenzukommen. Und trotzdem ist die Kommunikation und dann eben auch die Kooperation noch sehr ausbaufähig. Wir kennen das Problem ja auch aus dem zivilen Bereich, im Rüstungsbereich ist die Situation jedoch noch einmal schwieriger, weil er traditionell viel verschlossener ist.
Preuß-Eisele: Ein kleines Start-up hat da kaum eine Chance, durchzudringen. Und da braucht es einfach Accelerator-Programme, Netzwerkveranstaltungen, Plattformen, alles, was geeignet ist, diese unterschiedlichen Player zusammenzubringen, um den Austausch aktiv zu fördern. Auch die Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) des US-Verteidigungsministeriums ist ein gutes Beispiel, wie bahnbrechende Technologien vorangetrieben werden können, zum Beispiel in Form von Wettbewerben, in denen Start-ups gegeneinander antreten.
Am Geld hängt es jetzt zumindest nicht mehr. Aber damit besteht natürlich die Gefahr, auch noch mehr Geld zu verbrennen, wenn vorher nicht bestimmte Probleme aus dem Weg geräumt werden: dysfunktionale Beschaffungspraxis, Ineffizienz, Systemzersplitterung, Wildwuchs an Waffensystemen, Doppelentwicklungen etc.
Preuß-Eisele: Richtig. Wir haben in Europa 27 Rüstungsindustrien, jeder Staat hat eine eigene.
Bovenschulte: Konkret bedeutet das, dass zum Beispiel die unterschiedlichsten Panzertypen in Europa im Einsatz sind, die alle unterschiedliche Munition und teilweise auch anderen Treibstoff benötigen. Das macht die ganze Nachschublogistik unnötig aufwendig und schwierig. Und dann gibt es oftmals auch sehr teure Parallelentwicklungen. Da ist ein einzelnes Land wie Russland, das inzwischen voll auf Kriegswirtschaft umgestellt hat, um Längen effizienter als wir hier in Europa.
Preuß-Eisele: Wir haben zwar Organisationen wie die European Defense Agency, die sich schon seit Jahren abmühen, die europäische Verteidigungszusammenarbeit zu stärken, Beschaffungsprojekte zu koordinieren und auch Standards zu setzen. Aber oft scheitert das eben noch an nationalen Egoismen, die solchen Bemühungen einen Strich durch die Rechnung machen. Da gibt es so viele unterschiedliche Interessen, die zu berücksichtigen sind und die das ganze System viel, viel komplexer machen. Aber genau diese nationalen Egoismen können wir uns nicht mehr leisten. Der Ernstfall ist jetzt!
Wir haben gerade viel über Landesverteidigung im Allgemeinen und Panzer und Drohnen im Besonderen geredet. Den GRÜNEN ist zu verdanken, dass sie sich bei den Verhandlungen zum Schuldenpaket für eine breitere Definition von Verteidigung und Sicherheit eingesetzt haben. Denn bei hybriden Kriegen von heute lauern die Gefahren doch noch aus ganz anderen Richtungen, oder?
Bovenschulte: Richtig! Es ist ja nicht so, dass wir gleich von Marschflugkörpern attackiert werden, sondern es sind ganz vielfältige, hybride Angriffsszenarien, gegen die man sich wehren muss. Und diese Gefahren sind schon heute ganz real: ein Unterseekabel, das gekappt wird; ein Paket, das im DHL-Zentrum eines Flughafens auf einmal in Brand gerät; Anschläge auf die Bahn-Infrastruktur; Hackerangriffe, die über einen längeren Zeitraum Institutionen lahmlegen. Hinzu kommen all die Desinformationskampagnen, mit denen wir es heute auch schon massiv zu tun haben. All das ist schon heute tägliche „Kriegspraxis“. Und damit macht man ein Land natürlich auch von innen kaputt. Sich diesen Dingen innerhalb einer Sicherheitsstrategie anzunehmen, ist ganz genauso wichtig wie die originär militärische Verteidigung.
Preuß-Eisele: Diese hybride Kriegsführung stellt uns sicherlich vor eine neue Art der Bedrohung: Sie ist oft unsichtbar, schwer zuzuordnen und zielt darauf ab, unsere Gesellschaften zu destabilisieren und Vertrauen zu zerstören. Es sind nicht mehr klar erkennbare Gegner in Uniform, sondern Einzelpersonen oder Gruppen, die im Verborgenen agieren – im Auftrag fremder Staaten, oft hochintelligent und kaum greifbar. Genau das macht unsere Abwehr so schwierig und verlangt von uns, dass wir nicht nur technisch aufrüsten, sondern auch politisch klug und geschlossen handeln. Europa muss diese Gefahr endlich als das erkennen, was sie ist – eine ernsthafte Herausforderung für unsere Sicherheit und unseren Zusammenhalt. Aber vielleicht liegt hier eine Chance, am Ende als gestärktes, geeintes Europa aus dieser angespannten Bedrohungslage herauszugehen. Einfach, weil wir es müssen, wenn wir die aktuelle Situation wieder unter unsere Kontrolle bringen wollen.
Zum Positionspapier „New Defence: Mit Innovationen Europas Verteidigung verbessern“