Beginnen wir mit einem knappen Einstieg: Was ist das wichtigste Ziel, das SPRIND erreichen soll?
Laguna: Wir haben von der Bundesregierung den Auftrag, Projekte mit Potenzial für Sprunginnovationen zu finden und diese dann so zu entwickeln, dass sich daraus auch ein volkswirtschaftlicher Nutzen für unser Land ergibt, womöglich eine neue Industrie entsteht.
Cantner: Mit SPRIND wird aus meiner Sicht im deutschen Forschungssystem eine Lücke zwischen Grundlagenforschung und praktischer Anwendung geschlossen. Die großen Forschungsorganisationen verfolgen zwar den Ansatz, bestehende Technologien noch besser und anwendungsreif zu machen. Aber der entscheidende Innovationssprung, den Fokus auf ein Problem zu richten, dessen genaue Lösung man noch gar nicht kennt, fehlt. Genau das sind Aufgabe und Ziel der SPRIND.
Wo steht die Agentur in ihrem Aufbau jetzt? Welche Schritte sind in den nächsten Monaten geplant?
Laguna: Wir haben bislang über 650 Projekteinreichungen bekommen, von denen etwa zehn Prozent echtes Sprunginnovations-Potenzial haben könnten. Um das zu ermitteln, haben wir einen sehr elaborierten Prozess mit einem Kriterienkatalog entwickelt. Ein großes Expert:innen-Netzwerk unterstützt uns, auch durch die Erstellung von Gutachten. Zu ihnen gehören wissenschaftliche Institutionen, aber auch freie Expertinnen und Experten. Auf diese Weise haben wir bislang rund 20 Projekte validiert, anfinanziert und inkubiert. In vier Fällen gehen wir in die Großfinanzierung, über die Gründung einer Tochter-GmbH. Das erste Projekt ist auch schon wieder aus der SPRIND „weitergezogen“, nämlich das „Sovereign Cloud Stack“-Projekt, das jetzt von Gaia-X weiterfinanziert wird.
Außerdem haben wir die erste SPRIND Challenge gestartet, eine Ausschreibung für die Suche nach neuen antiviralen Wirkstoffen. Dort kommt ein neues Verfahren zur Anwendung: die präkommerzielle Auftragsvergabe. Hier müssen die Antragsteller keine Projektanträge stellen, damit wir ihnen Geld geben können.
Ich will hervorheben, dass SPRIND mit seinem Ansatz auch in solche Ecken der Innovation hineinleuchten kann, die bisher nicht ausgeleuchtet wurden. So kommen circa 80 Prozent der Projektideen, die uns erreichen, nicht aus wissenschaftlichen Institutionen, sondern von „Einzelkämpfern“ und kleinen Erfindern, die vom Innovationssystem bislang nicht erfasst werden.
Bundeskanzlerin Merkel gestattete sich beim von EFI mitveranstalteten Forschungsgipfel kritische Bemerkungen zum Entwicklungsstand von SPRIND und den dafür ursächlichen Restriktionen. Welche Konsequenzen müssen aus Ihrer Sicht daraus folgen?
Cantner: Die Kanzlerin hat die Auffassung vertreten, dass die Agentur nicht so richtig ins Laufen kommt, weil sie durch bürokratische und politische Fesseln daran gehindert wird. In der Tat nimmt die Politik ihr Mitspracherecht bei SPRIND so wahr, als handele es sich um ein normales Förderprogramm beim BMBF oder BMWi. Ich denke, dass die Agentur diesbezüglich strukturell und konzeptionell auf eine ganz andere Basis gestellt werden muss. Damit meine ich eine Basis, die alle Handlungsfreiheiten ermöglicht, bei Kontakten, Finanzführung und konzeptioneller Ausrichtung. Bei der Max-Planck-Gesellschaft oder Fraunhofer als Beispiel wird vom Ministerium ja auch nicht in Institutsführung und Forschungsprogrammatik hineingeredet. Die sind komplett frei, und so muss es auch bei SPRIND sein.
Laguna: Nachdem die alte Bundesregierung keine Lösung dieses Problems erreichen konnte, kommt dies nun auf die neue Regierung zu. Wir von SPRIND konzentrieren uns jetzt darauf, dass die notwendigen Änderungen in den Koalitionsvertrag aufgenommen werden. Ich will betonen: Wenn wir nicht ausreichend Risiken eingehen, dann werden wir garantiert scheitern. Die Verwaltung erfüllt zwar ihren Job, indem sie jegliches Scheitern verhindern will. Nur wenn wir als SPRIND genauso vorgehen würden, nämlich Scheitern zu verhindern, dann scheitern wir an unserem Kernauftrag, riskante Projekte zu wagen.
Um zu illustrieren, wie es momentan läuft: Für unser Projekt „Analog-Computer“ haben wir eine Tochtergesellschaft gegründet, die somit dem Besserstellungsverbot und dem Vergaberecht unterliegt. Mit dem Gehaltsgefüge des öffentlichen Dienstes ist es jedoch eine echte Herausforderung, hierfür die besten Chip-Designer und Software-Architekten zu gewinnen, die wir natürlich gerne hätten. Und das Vergaberecht zwingt dieses Start-up dazu, eine europaweite Ausschreibung für alles zu machen, was mehr kostet als ein Kugelschreiber.