VDE dialog: Fangen wir mal ganz vorne an: Wozu brauchen wir Normen?
Wolfgang Niedziella: Genormt wird bereits seit Ewigkeiten: Schon wenn man im Mittelalter auf einem Markt etwas wiegen wollte, musste man sich vorher auf ein Gewichtsmaß einigen. Im Laufe der Zeit hat sich das natürlich entwickelt, Normen sind inzwischen ein wesentlicher Bestandteil unserer ganzen Produktwelt geworden. Dabei sind Normen nichts anderes als bestimmte Dinge, auf die sich interessierte Kreise im Konsens einigen, um zum Beispiel Interoperabilität zu gewährleisten. Ein beliebtes Beispiel ist dafür der Stecker, der idealerweise nun einmal nicht nur in eine Steckdose passen sollte.
Gerade für kleine und mittlere Unternehmen sollen Normen sehr wichtig sein. Warum?
Weil solche Unternehmen in der Regel weder große Rechts- noch große Entwicklungs- noch große Risikoabteilungen haben. Für sie sind solche Absprachen natürlich besonders komfortabel, weil sie mit einem normkonformen Produkt sicher sein können, dass sie mit ihm auf dem aktuellen Stand der Technik sind und eine gewisse Sicherheit haben – auch was die Haftung angeht.
Inwieweit sind Hersteller verpflichtet, sich an Normen zu halten?
Normen sind grundsätzlich erst einmal freiwillig, es sei denn, der Gesetzgeber sagt etwas anderes. Das macht er zum Beispiel im Medizinproduktebereich, weil er hier ein besonderes Interesse daran hat, dass kein Produkt auf den Markt kommt, das bestimmte Anforderungen nicht erfüllt. In den meisten Bereichen ist die Anwendung allerdings nicht vorgeschrieben. Das gilt auch für den Fall, dass ein Hersteller ein Produkt in den europäischen Binnenmarkt einbringen möchte: Er muss sich dabei an die Richtlinien halten. Er kann Normen anwenden, aber auch auf andere Art und Weise nachweisen, dass sein Produkt dem Stand der Technik entspricht. Das ist nur eben viel aufwendiger und rechtsunsicherer, sodass die Hersteller in aller Regel sehr gerne auf die Normen zurückgreifen.
Aber welche Normen? Es gibt doch deutsche, internationale und harmonisierte europäische Normen.
Im Bereich der Elektrotechnik haben wir uns schon vor rund 30 Jahren darauf geeinigt, nicht mehr nur national normen zu wollen und auch nicht nur europäisch. Denn die Elektroindustrie ist international ausgerichtet und arbeitet für den Weltmarkt. Deswegen fragen wir immer erst einmal bei der internationalen Normenorganisation IEC und ihren Mitgliedsländern an, ob sie an einer Norm interessiert sind. Wenn das der Fall ist, wird weltweit genormt und dann in der Regel auch von den europäischen Normenorganisationen übernommen. Um es in Zahlen zu sagen: 79 Prozent aller europäischen Normen sind mit der entsprechenden internationalen Norm identisch, sechs Prozent basieren auf der weltweiten Norm und unterscheiden sich nur aus bestimmten rechtlichen Gründen im Detail, und bloß 15 Prozent sind rein europäische Normen.
Aber wer konkret entwickelt diese Normen überhaupt?
Dafür gibt es innerhalb der Organisationen wie der DKE oder dem DIN einen Prozess mit klaren Vorgaben: Zunächst muss jemand einen Normungsbedarf anmelden. Dann bringen wir Experten aus interessierten Fachkreisen in einem Gremium zusammen: Hersteller, Verbände, Verbraucherschutz, Umweltschutz, Berufsgenossenschaften und andere – grundsätzlich hat jeder das Recht, an einer Normung mitzuwirken. Damit wir arbeitsfähig bleiben, haben wir allerdings das Gremium auf 21 Personen beschränkt. Wir als DKE stellen für dieses Gremium einen Hauptberuflichen, der das alles organisiert und managt, der die Dokumente vorbereitet, zur Sitzung einlädt und dann auch Protokoll führt. So wird der Entwurf für eine Norm erarbeitet, der dann international eingebracht wird und nach einem Abstimmungsprozess dann in der Fachöffentlichkeit vorgestellt wird, damit sie kommentiert und bewertet werden kann. Am Ende, wenn alle etwaigen Einsprüche ausgeräumt sind, steht dann als Konsens die gemeinsame Norm.
Das alles klingt extrem aufwendig. Wer kommt für die dabei entstehenden Kosten auf?